Welche Faktoren erhöhen das Risiko für einen weiteren Anfall nach einem ersten unprovozierten Anfall (ohne klare Ursache)?
- Abnormale Ergebnisse bei einem Test, der die Gehirnaktivität aufzeichnet (Elektroenzephalogramm oder EEG), sind wahrscheinlich mit einem erhöhten Risiko verbunden, einen weiteren Anfall zu erleiden.
- Andere Faktoren erhöhen das Risiko möglicherweise ebenfalls – zum Beispiel auffällige Ergebnisse in der Hirnuntersuchung, Anfälle während des Schlafs, eine vorübergehende Schwäche nach einem Anfall (Todd-Parese) oder wenn in der Familie bereits jemand Epilepsie hat. Allerdings ist ist die Evidenz für diese Faktoren weniger sicher.
- Um zu ermöglichen, dass Ärztinnen und Ärzte genauer vorhersagen können, wer nach einem ersten unprovozierten Anfall weitere Anfälle erleiden wird, sind qualitativ hochwertigere Studien notwendig.
Ein Anfall ist eine plötzlich auftretende, übermäßige Entladung elektrischer Signale im Gehirn. Ein Anfall kann sich durch Zittern, Versteifung des Körpers, starres Blicken, Verwirrtheit oder Bewusstseinsverlust äußern. Ein unprovozierter Anfall ist ein Anfall, der ohne erkennbare oder unmittelbare Auslöser wie Fieber, Infektionen oder kürzliche Verletzungen auftritt. Er kann ein Zeichen für eine Grunderkrankung wie Epilepsie sein.
Warum stellen unprovozierte Anfälle ein Problem dar?Bis zum 85. Lebensjahr erleidet etwa einer von zwanzig Menschen mindestens einen Anfall. Nach einem ersten Anfall können die Ärztinnen und Ärzte häufig nicht vorhersagen, ob weitere folgen werden. Diese Ungewissheit erschwert es, Entscheidungen über die Fahrtüchtigkeit, die Berufstätigkeit oder den Beginn einer Behandlung zu treffen.
Ärztinnen und Ärzte benötigen verlässliche Methoden, um das Risiko weiterer Anfälle nach einem ersten unprovozierten Anfall vorherzusagen und so Diagnose und Behandlung gezielt zu unterstützen. Dies ist besonders wichtig, da die Diagnose Epilepsie bei manchen Menschen bereits nach einem einzigen Anfall gestellt werden kann, sofern die Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle hoch ist.
Was wollten wir herausfinden?Wir wollten herausfinden, ob sich anhand bestimmter Merkmale – wie persönlichen Merkmalen, Eigenschaften des ersten Anfalls oder medizinischen Testergebnissen – abschätzen lässt, ob eine Person erneut einen Anfall bekommen wird. Wir untersuchten:
- persönliche Merkmale wie Alter, Geschlecht und familiäre Vorbelastung durch Epilepsie;
- medizinische Untersuchungsergebnisse, einschließlich Gehirnscans (Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT)) oder EEGs (Hirnstromtests);
- Anfallsmerkmale, einschließlich der Frage, ob der Anfall im Schlaf stattfand und ob er lange andauerte.
Wir haben nach qualitativ hochwertigen Studien gesucht, in denen Menschen nach einem ersten unprovozierten Anfall beobachtet wurden, um zu sehen, ob sie danach weitere Anfälle hatten. Wir schlossen Studien ein, in denen Personen mindestens sechs Monate lang beobachtet wurden und die mindestens 30 Teilnehmende umfassten.
Wir haben dann die Ergebnisse der Studien zusammen ausgewertet, um herauszufinden, wie stark die Evidenz für jeden möglichen Risikofaktor war.
Was fanden wir heraus?Wir fanden 23 Studien mit 5918 Personen. Einige Studien untersuchten Erwachsene, andere Kinder, und manche schlossen beide Gruppen ein. Die Stärke der Evidenz für die einzelnen Risikofaktoren war unterschiedlich.
Hauptergebnisse- Abnormales Elektroenzephalogramm (EEG): Menschen mit abnormalen EEG-Ergebnissen haben wahrscheinlich ein höheres Risiko für einen weiteren Anfall.
Die folgenden Faktoren erhöhen möglicherweise das Risiko eines erneuten Krampfanfalls:
- abnormaler Gehirnscan (Bildgebung);
- Todd'sche Parese (vorübergehende Schwäche nach einem Anfall);
- Epilepsie in der Familie;
- Krampfanfälle im Schlaf (nächtliche Anfälle).
Wir sind sehr unsicher, ob die folgenden Faktoren das Risiko eines erneuten Anfalls erhöhen:
- fokale neurologische Ausfälle – also Störungen, die auf eine Schädigung eines umschriebenen Hirnareals zurückzuführen sind und sich in Funktionsstörungen bestimmter Körperregionen äußern;
- Krampfanfälle im Rahmen von Fieber bei Kindern;
- Status epilepticus (ein epileptischer Anfall, der nicht von selbst aufhört oder mehrere Anfälle, die direkt hintereinander auftreten, ohne dass die Person dazwischen wieder zu Bewusstsein kommt);
- fokale Anfälle (ein Anfall, der in
einem Teil des Gehirns beginnt);
- männliches Geschlecht.
Die Evidenzlage dazu, ob ein Alter unter 16 Jahren einen Risikofaktor darstellt, ist uneinheitlich: Während einige Studien auf ein erhöhtes Risiko hinweisen, finden andere ein geringeres Risiko. Insgesamt ist die Evidenz unsicher.
Was schränkt die Aussagekraft der Evidenz ein?In vielen Studien wurden die Ergebnisse unterschiedlich gemessen und berichtet, so dass sie schwer zu vergleichen sind. Einige Studien waren klein oder berücksichtigten nicht alle wichtigen Faktoren. Die meisten Studien wurden in Ländern mit hohem Einkommen durchgeführt, weshalb die Ergebnisse möglicherweise nicht auf andere Länder übertragbar sind.
Größere, qualitativ hochwertige Studien, die Risikofaktoren für Anfälle einheitlich erfassen und berichten, könnten Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, verlässlichere Vorhersagen zu treffen.
Wie können Patient*innen und Betreuungspersonen diese Informationen anwenden?Sind die mit der Häufigkeit von Anfällen zusammenhängenden Merkmale bekannt, können Patient*innen und ihre Familien besser informierte Gespräche mit ihren Ärzt*innen führen. Dies kann Entscheidungen in Bezug auf die Behandlung, die Fahrtüchtigkeit, die Schule, die Arbeit und das tägliche Leben unterstützen.
Wie aktuell ist dieser Review?Dieser Review umfasst Studien, die bis Dezember 2022 veröffentlicht wurden.