Ketamin: bekannt als Schmerzmittel bei Notfällen – aber auch gegen chronische Schmerzen?

Illustration, die ein bläulich gefärbtes Gehirn mit einem Reset Knopf an der Seite zeigt

Das Narkosemittel Ketamin wird häufig auch gegen Nervenschmerzen, Fibromyalgie und andere dauerhafte Schmerzzustände verordnet. Das passiert „off label“ – also außerhalb der Anwendungsgebiete, für die es zugelassen ist. Der Nutzen dieses Einsatzes ist laut einem neuen Cochrane Review allerdings nicht wissenschaftlich belegt. 

In der Notfallmedizin und rund um Operationen wird Ketamin als schnell wirksames Mittel gegen akute Schmerzen eingesetzt. Dafür gibt es zuverlässige Evidenz. Menschen mit chronischen Schmerzen haben jedoch oft eine veränderte Verarbeitung von Schmerzsignalen im Nervensystem, auch „Schmerzgedächtnis“ genannt. Man erhofft sich, dieses mit Ketamin und anderen Wirkstoffen mit dem gleichen Ansatzpunkt, den NMDA-Rezeptorantagonisten, positiv beeinflussen zu können. Der neue Cochrane Review wertete 67 Studien mit mehr als 2300 erwachsenen Teilnehmer*innen aus. Untersucht wurden darin neben Ketamin auch Memantin, Dextromethorphan, Amantadin und Magnesium. All diese NMDA-Rezeptorantagonisten sollen bei der Schmerzlinderung helfen, indem sie bestimmte Rezeptoren im Gehirn blockieren. In den eingeschlossenen Studien wurde ihre Wirksamkeit und Sicherheit mit Placebo oder anderen üblichen Schmerztherapien verglichen. 

Die Übersichtsarbeit gibt keine eindeutigen Hinweise darauf, dass Ketamin bei chronischen Schmerzen hilft. Zugleich weisen die Ergebnisse darauf hin, dass es ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wirkungen gibt: Wahnvorstellungen, Delirium, Übelkeit und Erbrechen können vor allem auftreten, wenn Ketamin intravenös verabreicht wird. Die Autor*innen stufen die Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse als gering bis sehr gering ein – und zwar unter anderem, weil die ausgewerteten Studien relativ klein waren und methodische Mängel hatten. Das bedeutet, dass weitere Untersuchungen in Zukunft durchaus zu anderen Ergebnissen kommen könnten.

„Wir möchten klarstellen: Wir sagen nicht, dass Ketamin unwirksam ist, aber es besteht eine große Unsicherheit“, sagt Michael C. Ferraro. Er ist Erstautor der Studie und Doktorand an der University of New South Wales und am Centre for Pain IMPACT in Sydney / Australien. „Die Daten könnten auf einen Nutzen hinweisen oder auch auf gar keinen Effekt. Im Moment wissen wir es einfach nicht.“

Die untersuchten NMDA-Rezeptorantagonisten und speziell Ketamin würden weltweit relativ häufig bei chronischen Schmerzen verwendet, so Neil E. O'Connell, Professor an der Brunel University of London / UK und Co-Autor der Studie. „Jedoch haben wir keine überzeugende Evidenz dafür, dass sie Schmerzpatienten einen nennenswerten Nutzen bringen – nicht einmal kurzfristig. Das scheint ein guter Grund für Vorsicht in der klinischen Anwendung zu sein und zeigt deutlich, dass es dringend nötig ist, hochwertige Studien durchzuführen.“

Zur deutschen Zusammenfassung des Reviews