Interventionen zur Stressbewältigung im Gesundheitswesen

Foto einer gestresst wirkenden Pflegekraft, die alleine auf einer Treppenstufe sitzt.

Individuelle Interventionen zur Verringerung von berufsbedingtem Stress für Beschäftigte im Gesundheitswesen helfen möglicherweise mittelfristig, so ein aktualisierter Cochrane Review. Die Ergebnisse bestätigen damit die Schlussfolgerungen eines früheren Reviews aus dem Jahr 2015. Allerdings ist die Vertrauenswürdigkeit der verfügbaren Evidenz aufgrund methodischer Mängel der vorhandenen Studien gering.

Die Autor*innen konnten insgesamt 117 Studien über die Auswirkungen verschiedener Interventionen zur Stressreduzierung in den aktualisierten Review einschließen, 89 davon waren in der letzten Version des Reviews noch nicht enthalten. Insgesamt wurden in den Studien mehr als 11 000 Beschäftigte im Gesundheitswesen in einer Vielzahl von Ländern nach dem Zufallsprinzip verschiedenen Interventionen zugeteilt. Der Stress wurde anhand von Fragebögen bewertet, mit denen die Stresssymptome kurzfristig (bis zu drei Monate nach Beendigung einer Intervention), mittelfristig (zwischen drei und 12 Monaten) und langfristig (nach mehr als einem Jahr) erfasst wurden.

Die im Review zusammengefassten Studien untersuchten Interventionen auf individueller Ebene. Dafür gibt es zwei grundlegend unterschiedliche Herangehensweisen: Zu Interventionen, die die Aufmerksamkeit auf das Stresserleben lenken, gehören die kognitive Verhaltenstherapie oder das Training von Durchsetzungs-, Bewältigungs- und Kommunikationsfähigkeiten. Andere Interventionen wie Entspannungsübungen, Achtsamkeitsmeditation, Übungen wie Yoga und Tai Chi, Massage, Akupunktur und Musikhören haben dagegen zum Ziel, vom Stress abzulenken und diesem durch Entspannung zu begegnen. Die Autor*innen wollten herausfinden, wie diese Interventionen zur Stressreduzierung im Vergleich zum Verzicht auf spezielle Stress-Intervention abschneiden.

Alle Studienteilnehmenden arbeiteten im Gesundheitswesen und litten unter geringem bis moderatem Stress und Burnout. Dieser kann wiederum zu körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Muskelverspannungen oder Schmerzen, aber auch zu psychischen Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen, Konzentrationsstörungen sowie emotionalen und Beziehungsproblemen führen.

 „Beschäftigte im Gesundheitswesen sind häufig mit stressigen und emotionalen Situationen bei der Patientenversorgung, menschlichem Leid und Druck durch Beziehungen zu Patient*innen, Familienmitgliedern und Arbeitgebern sowie mit hohen Arbeitsbelastungen und langen Arbeitszeiten konfrontiert“, sagt Sietske Tamminga, Juniorprofessorin für öffentliche Gesundheit und Arbeitsmedizin am Amsterdam University Medical Centre, Amsterdam, Niederlande, die die Arbeit an dem Review leitete. „Wir fanden heraus, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen ihren Stress durch individuelle Maßnahmen wie kognitives Verhaltenstraining, Sport oder Musikhören möglicherweise verringern können. Dies kann für die Betroffenen selbst von Vorteil sein, aber auch für ihre Patient*innen und die Organisationen, für die sie arbeiten. Die Wirkung kann bis zu einem Jahr anhalten. Auch eine Kombination von Maßnahmen kann zumindest kurzfristig von Vorteil sein. Arbeitgeber*innen sollten nicht zögern, ihren Mitarbeiter*innen eine Reihe von Stressbewältigungsmaßnahmen zu ermöglichen. Wie sich Stressbewältigungsmaßnahmen auf lange Sicht auswirken, ist allerdings noch nicht bekannt.“

Die Autor*innen stellen fest, dass größere, qualitativ bessere Studien erforderlich sind, um sowohl die kurz- als auch die langfristigen Auswirkungen von Maßnahmen auf individueller Ebene zu untersuchen und um die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz zu erhöhen.

„Wir brauchen mehr Studien zu Maßnahmen, die sich mit Risikofaktoren im Arbeitsumfeld sowohl auf individueller als auch auf organisatorischer Ebene befassen“, sagt Tamminga. Sie stellt ihre persönliche Meinung klar: „Es könnte sogar noch vorteilhafter sein, die Arbeitsbedingungen selbst zu verbessern, anstatt nur beim Einzelnen anzusetzen. So sollten die Arbeitgeber beispielsweise Probleme wie Unterbesetzung, Überlastung oder sozial unverträgliche Schichtpläne angehen. Wenn man etwas ändern will, muss man die zugrunde liegenden Risikofaktoren ändern, anstatt sich auf die Symptome zu konzentrieren.“

Es gibt einige Einschränkungen des Reviews zu beachten: So könnten die Abschätzungen der Wirksamkeit verzerrt sein, da die Teilnehmer*innen der einbezogenen Studien nicht verblindet waren – sie wussten also ebenso wie die Forschenden, ob sie zur Interventions- oder zur Kontrollgruppe gehörten. Viele der Studien waren zudem klein: Nur 32 von 117 Studien hatten die Gruppen mehr als 50 Teilnehmende. Außerdem gab es zu wenige Studien, die sich auf spezifische Faktoren konzentrierten, die Stress am Arbeitsplatz verursachen können.

Zwischen 30 und 70 Prozent der Ärzt*innen und Pflegenden leiden Studien zufolge aufgrund ihrer Arbeit unter Burnout-Symptomen. Bisherige Forschungsarbeiten konzentrierten sich in der Regel auf eine bestimmte Art von Maßnahmen für bestimmte Gruppen von Beschäftigten im Gesundheitswesen. Die Autoren dieses Cochrane-Reviews schreiben: „Nach unserem Wissen gibt es ansonsten keine aktuellen Übersichtsarbeiten, die die Wirksamkeit verschiedener Arten von Interventionen auf individueller Ebene untersuchen, die darauf abzielen, Stress bei verschiedenen Beschäftigten im Gesundheitswesen zu reduzieren, um einen vollständigeren Überblick zu geben.“

Tammingas Schlussfolgerung lautet: „Aufgrund der hohen Fluktuationsraten gibt es bereits jetzt einen Mangel an Arbeitskräften im Gesundheitswesen. Eine wirksame Prävention von Stress und Burnout könnte dazu beitragen, diesen Arbeitskräftemangel zu verringern."

Zum Review: Individual‐level interventions for reducing occupational stress in healthcare workers