Gemeinsam forschen – Symposium zur Patient*innenbeteiligung an Evidenzsynthesen und Leitlinien

Diskussionsrunde mit Valérie Labonté (Cochrane Deutschland), Monika Nothacker, Jürgen Matzat, Michaela Mai, Viktoria Jungreithmayr

Die aktive Beteiligung von Patient*innen an Gesundheitsforschung hat in den letzten Jahrzehnten stetig an Bedeutung gewonnen. Während Patient*innen früher kaum Einfluss auf die Planung und Durchführung von Studien hatten, wird inzwischen zunehmend anerkannt, dass der Einbezug der Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen die Qualität, Angemessenheit, Relevanz und Glaubwürdigkeit von Forschung verbessert. (Jilani et al. 2020)

Patient*innenbeteiligung ist auch bei der Erstellung von Leitlinien und Evidenzsynthesen sinnvoll und wichtig. Bei Cochrane hat die Beteiligung von Patient*innen deswegen eine lange Tradition. Ein Team von Cochrane Deutschland hat zu diesem Thema ein Symposium beim diesjährigen EbM-Kongress organisiert – bestehend aus vier spannenden Impulsvorträgen und einer Diskussion.

Zunächst gab Monika Nothacker, stellvertretende Leiterin des AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement, einen Überblick über die Beteiligung von Patient*innen an Leitlinien in Deutschland in den letzten Jahrzehnten. Mittlerweile werden die meisten Leitlinien, die im Register der AWMF publiziert werden, mit Beteiligung von Selbsthilfeorganisationen bzw. Betroffenen erstellt. Dies ist möglich, weil es in Deutschland viele Patient*innenorganisationen gibt. Als Herausforderungen nannte sie u.a. die noch geringe Zahl an laienverständlichen Versionen von Leitlinien sowie fehlende Unterstützung für Patient*innenvertretende im Leitlinienprozess.

Anschließend schilderte Jürgen Matzat, Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss und Mitbegründer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, einige persönliche Erfahrungen. Er berichtete von beeindruckenden Begegnungen mit einer überwältigenden Runde von Fachleuten in Leitliniengruppen und anspruchsvoller Methodik, die für Patient*innenvertretende kompliziert sein kann. Zudem sprach er über die Herausforderung, passende Patient*innenvertretende für Forschungsvorhaben zu finden. Diese sollten von einer Patient*innenorganisation entsandt werden, um unabhängig für eine Gruppe Betroffener sprechen zu können.

Als nächstes beschrieb Michaela Mai (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) einige Erfahrungen der Leitlinienbeteiligung aus Sicht einer großen Selbsthilfeorganisation. Sie wies darauf hin, dass in Studien und systematischen Übersichtsarbeiten häufig bestimmte patient*innenrelevante Endpunkte wie die Lebensqualität nicht untersucht werden. Diese Evidenz fehlt dann u.a. für die Leitlinienerstellung. Außerdem berichtete sie über zahlreiche Beteiligungsanfragen aus der Wissenschaft an ihre Organisation und empfahl Forschenden, sich entsprechend frühzeitig um die Beteiligung von offiziell entsandten Patient*innenvertretenden zu kümmern.

Viktoria Jungreithmayr, Apothekerin und Wissenschaftlerin am Universitätsklinikum Heidelberg, stellte anschließend ein Praxisbeispiel vor. Sie arbeitet derzeit an einem systematischen Review zu der Frage, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei älteren Patient*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen beitragen könnten. Dabei werden partizipative Elemente wie Fokusgruppen-Diskussionen mit Betroffenen und deren Angehörigen sowie ein interdisziplinärer Projektbeirat genutzt.

Gruppenfoto mit Valérie Labonté (Cochrane Deutschland), Monika Nothacker, Jürgen Matzat, Viktoria Jungreithmayr, Michaela Mai, Angelika Eisele-Metzger (Cochrane Deutschland)
Valérie Labonté (Cochrane Deutschland), Monika Nothacker, Jürgen Matzat, Viktoria Jungreithmayr, Michaela Mai, Angelika Eisele-Metzger (Cochrane Deutschland)


Im Anschluss an die Impulsvorträge fand ein reger Austausch mit dem Publikum statt. Insgesamt wurde deutlich, dass die Beteiligung von Betroffenen für alle Seiten zwar mit Aufwand verbunden ist, dass dieser sich aber auch lohnt.