Neuer Cochrane Rapid Review untersucht Evidenz zu digitalen Kontaktnachverfolgung in Epidemien

Die Kontakte infizierter Personen nachzuverfolgen spielt für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie eine wichtige Rolle, weil Kontaktpersonen auf diese Weise gewarnt und getestet und Infektionsketten unterbrochen werden können. Digitale Technologien zum sogenannten Contact Tracing, zu denen auch die deutsche „Corona-Warn-App“ zählt, sollen diese Nachverfolgung von Kontakten unterstützen. Dafür laden sich Einzelpersonen eine App auf ihre Smartphones herunter, die im einfachsten Fall wie ein digitales Tagebuch das händische Notieren von Kontakten und möglichen Symptomen ermöglicht. Fortgeschrittene Systeme verwenden eine Technologie zur Standortbestimmung wie Bluetooth oder GPS und registrieren wie die Corona-Warn-App automatisch Kontakte mit anderen Nutzern der App. Wenn der Benutzer positiv auf eine Infektion getestet wird, helfen die erfassten Daten, Kontakte und mögliche Sekundärinfektionen zu identifizieren und die Betroffenen zu informieren.

Probleme mit diesem Ansatz können jedoch auftreten, wo der Zugang zur Technologie eingeschränkt ist, z.B. in einkommensschwachen Gegenden oder für ältere Menschen. Manche Menschen sehen darin auch eine Verletzung der Privatsphäre und sind misstrauisch, wie ihre Daten verwendet werden.

Die Autoren dieses Cochrane Rapid Review wollten wissen, ob die digitale Kontaktverfolgung im Vergleich zur traditionellen manuellen Kontaktverfolgung (etwa durch Gesundheitsämter) wirksam ist, um die Ausbreitung von Infektionen zu reduzieren, enge Kontakte zu identifizieren und einen vollständigen Satz von Kontakten zu identifizieren.

Wichtigste Ergebnisse

Die Autoren fanden 12 relevante Studien die bis zum Mai 2020 erschienen waren. Sechs bewerteten die Wirksamkeit der digitalen Kontaktverfolgung bei bestimmten Personengruppen (Kohorten): drei während eines Ausbruchs einer Infektionskrankheit (Ebola in Sierra Leone; Tuberkulose in Botswana; und Keuchhusten in den USA); drei evaluierten Systeme zur Identifizierung enger Kontakte der Teilnehmer an Schulen. Bei den übrigen sechs handelte es sich um Modellstudien, die eine digitale Kontaktverfolgung simulierten.
Die digitale Kontaktverfolgung mit Selbstisolation verringert wahrscheinlich die Zahl der Sekundärinfektionen, aber nicht so stark wie die manuelle Kontaktverfolgung mit Selbstisolation (zwei Modellstudien).
Die digitale Kontaktverfolgung identifizierte in zwei Ausbrüchen mehr enge Kontakte als die manuelle (zwei Studien in den USA und Sierra Leone). In Nichtausbruchssituationen können digitale Technologien mehr enge Kontakte ermitteln als selbst geführte Tagebücher oder Umfragen.
Eine App kann die Zeit für die Durchführung einer Kontaktnachverfolgung verkürzen (1 Studie). Digitale Systeme waren für die Aufzeichnung neuer Kontakte und die Überwachung bekannter Kontakte schneller und möglicherweise weniger anfällig für Datenverlust.
Zu den im Review identifizierten Problemen mit dem Zugang zu digitalen Systemen (zwei Studien) gehörten eine lückenhafte Netzabdeckung, fehlende Daten, technische Probleme und ein höherer Schulungsbedarf des Personals. Die persönlichen Kosten stiegen (eine Studie) aufgrund von Reisen und des Aufladens der Telefonakkus.

Was das bedeutet

In der Praxis ist es unwahrscheinlich, dass digitale Technologien die einzige Methode der Kontaktverfolgung während eines Ausbruchs wären; sie würden wahrscheinlich parallel zu manuellen Methoden eingesetzt. Leider gibt es zur Contact-Tracing-Technologie bislang kaum Evidenz aus dem Kontext echter Ausbrüche. Zudem untersuchte keine der von den Autoren eingeschlossenen Studien die Kombination aus digitaler PLUS manueller Kontaktnachverfolgung mit einer alleinigen digitalen Kontaktnachverfolgung – auf einen solchen lediglich ergänzenden Einsatz von Tracing-Apps zusätzlich zur traditionellen Kontaktnachverfolgung setzen zur Zeit aber die meisten Länder, die solche Technologien anbieten. Schließlich untersuchten die eingeschlossenen Studien recht unterschiedliche Technologien und verwendeten unterschiedliche Methoden, was die Bewertung der Evidenz erschwert.
Insgesamt ist die Effektivität digitaler Lösungen zur Kontaktnachverfolgung bislang wissenschaftlich weitgehend unbelegt, weil es an Evidenz aus dem Kontext echter Ausbrüche mangelt. Umso wichtiger ist es, dass nun im Rahmen der zahlreichen Ansätze, die COVID-19-Pandemie mit Hilfe von Contact-Tracing-Technologien zu bremsen, begleitende Primärforschung von hoher methodischer Qualität betrieben wird.

Zum Review "Digital contact tracing technologies in epidemics: a rapid review"